Manifest

Die Welt ist viel. Alles in Bewegung. Zeit für utopische Entwürfe. Die Zukunft macht etwas mit uns, und wir machen etwas mit ihr. Was ist dieses Etwas und wie stehen wir dazu? Was wollen wir von der Zukunft und wie können wir sie gestalten?

Ein Labor mit Utopieverdacht will Menschen zusammenbringen, die sich in diesem «wir» wiederfinden möchten.

Ein Labor mit Utopieverdacht ist der alljährliche Versuch, gemeinsam einen selbstorganisierten, respektvollen, ergebnisoffenen und transdisziplinären Raum der Kollaboration zu schaffen, in dem sich die Anwesenden diesen Fragen mit kritischer Naivität stellen. Manchmal gelingt das und manchmal nicht. Im Laufe des Labors entstehen so verschiedene Formate, Themen und offene Gruppen, die gemeinsam von Tag zu Tag neu konstituiert und weiterentwickelt werden.

Ein Labor mit Utopieverdacht wächst aus dem Bedürfnis, gesellschaftlichen, politischen und sozialen Entwicklungen nicht ohnmächtig ausgeliefert zu sein, sondern diese gemeinsam mit anderen Menschen zu reflektieren und darauf zu reagieren, Nischen und Transformation zu gestalten. Herrschende Normen wie Leistung, Output, Wettbewerb und Kreativitätszwang stehen dabei unter Generalverdacht.

Ein Labor mit Utopieverdacht existiert nicht ausserhalb der Realität. Gerade deshalb engagieren wir uns am gemeinsam und (selbst-)kritisch gegen jegliche Diskriminierungsformen wie Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Antifeminismus, Behindertenfeindlichkeit/Ableismus und Disablismus, Altersdiskriminierung, Lookismus oder Klassismus.

Ein Labor mit Utopieverdacht ist eine Woche, für die sich Menschen frei nehmen, ein Ort, an dem sich Menschen treffen, eine temporäre Gemeinschaft, für die alle zusammen verantwortlich sind. Es lädt zum aktiven Leerlauf ein.

Ein Labor mit Utopieverdacht braucht Mut zur Selbstorganisation. Es herrscht strukturierte Strukturlosigkeit: leere Tage voller Möglichkeiten. Die individuellen und gemeinsamen Dringlichkeiten bestimmen Inhalte und Formate der Woche, manchmal ernst, manchmal spielerisch und oft auch ungeplant. Alles kann, nichts muss.

Das erste Labor mit Utopieverdacht wurde 2015 von jungen, weissen, schweizerischen und deutschen Studierenden gegründet, um selbstorganisiert und transdisziplinär über die Zukunft nachzudenken. Vor diesem Hintergrund gilt es, das Labor zu einem einladenden Ort für all jene Menschen zu machen, die von Zukunft betroffen sein werden und sie aktiv mitdenken und -gestalten wollen. Ein Labor mit Utopieverdacht soll ermöglichen, die Grenzen des eigenen Standpunktes und Denkens selbstkritisch zu hinterfragen, auszudehnen und zu durchbrechen.

Ein Labor mit Utopieverdacht möchte ständig dazulernen.

Ein Labor mit Utopieverdacht geht mit folgenden Ansprüchen einher:

I Selbst-Selektion
Die Anmeldung ist keine Bewerbung. Es gibt keine Auswahlkriterien jenseits von Selbstselektion und externen Faktoren, wie zum Beispiel beschränkte Platzzahl.

II Awareness
Von allen Anwesenden wird erwartet, dass sie sich gemeinsam um eine Kultur der Inklusion bemühen, in der die Bedürfnisse aller Laborierenden Rücksicht erfahren. Die Organisator*innen reflektieren Barrieren bezüglich der Anmeldung, Teilnahme und Teilhabe am Labor. Identifizierte Barrieren werden je nach Möglichkeit abgebaut oder transparent in der Ausschreibung und vor Ort thematisiert, mit dem Ziel, das Labor zu einem möglichst einladenden und diskriminierungsarmen Raum zu machen. Damit einher gehen das Bewusstsein, dass es Wissens- und Awareness-Lücken gibt und die Bereitschaft, stets dazu zu lernen.

III Selbstorganisation
Ein Labor hat keine inhaltliche Leitung. Einzig der erste Tag ist moderiert. Danach gilt Selbstorganisation. Es gibt keine Fallback-Pläne, Workshop-Slots, Keynote-Speakers oder Ähnliches. Die Inhalte entstehen nach kollektiver und individueller Dringlichkeit vor Ort. Die Organisator*innen tragen jedoch weiterhin gastgebende Verantwortung.

IV Zeit und Raum
Der Ort, gemeinsame Mahlzeiten, ein tägliches Plenum und ein für alle Laborierenden zugänglicher Raum bilden den strukturellen Rahmen des Labors. Die Laborierenden nehmen sich die Freiheit, selbst über ihre Zeit zu verfügen. Sie können jederzeit kommen und gehen.

V Diskurs
Herrschende Normen und Ansprüche wie Effizienz, Output, Wettbewerb, Leistung, Kreativitätszwang stehen unter Generalverdacht. Es gibt keine Suche nach der besten Idee oder dem kreativsten Beitrag. Das gemeinsame Denken und Handeln steht im Zentrum. Ein Labor lebt eine kritische und respektvolle Gesprächskultur.

VI Offenheit & Empathie
Alle Formate des Labors sind im Zweifel offen. Sich von einer Gruppe zu entfernen, wird nicht als Wertung verstanden. Als Kollektiv und Einzelpersonen übernehmen die Laborierenden Verantwortung für individuelle und strukturelle Bedürfnisse und versuchen, einander mit Wohlwollen und Respekt zu begegnen.

VII Kein Outputzwang
Der Zweck eines Labors ist der Prozess, nicht der Output. Es darf etwas passieren, etwas entstehen und bestehen bleiben, aber es muss nicht. Ein Labor bietet verschwendungsvollen Raum, in dem utopisches, imaginatives und kreatives gemeinsames Denken möglich ist und Transdisziplinarität entsteht. Spontan und Plan, zaghaft und mutig, spielerisch und ernst, konkret und vage, konzentriert und abschweifend – sowohl Themen wie Formate sind offen und frei.

VIII Selbstbestimmung
Laborierende entscheiden frei, wie sie ihre Zeit einteilen, woran sie teilnehmen möchten und ob sie etwas anbieten möchten. Nichts muss stattfinden. Vieles kann stattfinden. Formate dürfen auch parallel stattfinden.

IX Der Anfang
Der moderierte erste Tag dient dem Zweck, gemeinsam den Rahmen für eine erfolgreiche Selbstorganisation in den folgenden Tagen zu schaffen. Folgende Elemente sind dafür zentral: Alle sprechen einmal mit allen. Gemeinsam wird das Zusammenleben definiert, so dass sich alle eingeladen fühlen. Die Dringlichkeiten und Ideen der Laborierenden werden einmal mit der gesamten Gruppe geteilt. Es findet eine erste Reflexion über die anwesenden Standpunkte und Identitäten statt. Zwischendurch darf getanzt werden.